3. Methodische Ansatzpunkte für die schulische Arbeit

In diesem Kapitel wird die bereits umrissene methodische Grundlinie weitergehend konkretisiert. Dabei werden zentrale handlungs- und erfahrungsbetonte Lern- und Arbeitsweisen für den Berufswahl-Unterricht vorgestellt und exemplarisch veranschaulicht. Dazu wird auf eigene oder in der Literatur dokumentierte Unterrichtserfahrungen zurückgegriffen; es werden praktische Anregungen gegeben, neuralgische Punkte benannt sowie hier und dort auch einzelne Arbeitshilfen dokumentiert (letzteres geschieht allerdings vorrangig in Kapitel 4). Der methodische Leitgedanke bei alledem: Soviel Aufklärung und Information wie unbedingt nötig - soviel aktiv-produktives Lernen der Schüler wie irgend möglich!

3.1 Die Informationsflut sinnvoll reduzieren
Wie in Kapitel 1 gezeigt, klagen Lehrer und Berufsberater ziemlich einmütig darüber, daß im Berufswahl-Unterricht (bislang) zu viele Informationen in zu kurzer Zeit zu vermitteln sind und viele Schüler von daher deutlich überfordert werden. Man braucht sich nur die gängigen Lehrpläne und/oder die breite Palette der Berufswahlhilfen des Arbeitsamtes sowie der Unternehmen und Verbände anzuschauen, um den beklagten Informations- und Stoffdruck nachvollziehen zu können. Allein die breit gefächerten "Hilfen der Berufsberatung" werfen bereits die Frage auf, ob sie noch alle sinnvoll sind. Beruf Aktuell, Step-Plus, "Mach's richtig", die Blätter zur Berufskunde oder die regelmäßig erscheinende Informationszeitung der Berufsberatung (IZ) - sie allesamt sind "Schriften zur Berufsaufklärung" für Haupt- und Realschüler. Hinzu kommt eine Vielzahl von berufskundlichen Filmen und Dias, die ebenfalls reine Informationsmedien sind. Eingedenk des skizzierten Befundes, daß das Gros der Schüler ein nur sehr eingeschränkt rationales Berufswahlverhalten an den Tag legt (Stichwort "Durchwursteln"), muß von daher die Frage erlaubt sein, ob das umfängliche Informationsangebot des Guten nicht längst zuviel ist. Nicht daß die angebotenen Medien unwichtig wären, sie geben durchaus interessante Detailinformationen für jene Schüler, die bereit und in der Lage sind, sich mit Akribie in die Details zu vertiefen (rationale Berufswähler). Doch diese sind nicht sehr zahlreich. Wenn es stimmt, daß die Suche eines Ausbildungsberufs für die meisten Schüler nicht "Berufswahl" heißt, sondern "Wahl des Arbeitgebers" (vgl. Allehoff, 1985, S. 26), dann ist anzunehmen, daß der Bedarf an berufskundlichen Detailinformationen in aller Regel nicht allzu groß ist und - falls doch vorhanden - zumeist in den persönlichen Gesprächen mit dem Berufsberater abgedeckt wird.
In der Unterrichtspraxis zeigt sich auf jeden Fall, daß der Nutzungsgrad der angebotenen Informationsmedien in der Sekundarstufe 1 im allgemeinen recht gering ist. Das ist lediglich dann anders, wenn mit diesen Informationsmedien in einem ganz konkreten Arbeitszusammenhang praktisch umgegangen wird. Solches gilt z. B. für das Berufsinformationszentrum (BIZ), aber auch für entsprechend angelegte Planspiele, Rollenspiele oder sonstige Lernsituationen, in denen die Informationsaufnahme in aktiv-produktive Lern- und Arbeitsschritte eingebettet ist (Kreuzworträtsel lösen, Wissensfragen in einem Würfelspiel beantworten, Fragebogen für eine Berufserkundung vorbereiten etc.).
In diese Kategorie der "Arbeitsmittel" ist auch und besonders das von der Berufsberatung an alle Schüler gegebene Arbeitsheft "Step Plus" einzuordnen. Es aktiviert und motiviert die Schüler auf verschiedenen Ebenen: Erstens durch den individualisierenden Zuschnitt (Betroffenheit), zweitens durch die Bezugnahme auf den aktuellen Ausbildungsstellenmarkt (Beiheft), drittens durch die "Rätselform" des Arbeitsheftes sowie viertens durch die in Aussicht gestellte Computerdiagnose. So gesehen trägt "Step Plus" sicherlich zu einer gezielten und sinnvollen Reduktion der Berufswahlproblematik bei. Schade ist eigentlich nur, daß in dieses Arbeitsheft keine gezielten Such- und Nachschlageaufgaben in bezug auf andere Informationsmedien mit eingebaut worden sind. Ansonsten hätte die immanente Motivationskraft von "Step Plus" auch in dieser Hinsicht als Stimulanz genutzt werden können. Diese knappen Anmerkungen deuten bereits an, in welche Richtung eine "sinnvolle Reduktion der gegebenen Informationsfülle" gehen sollte. Vorrangiges Ziel des Berufswahl-Unterrichts müßte es sein, den Medieneinsatz auf solche Lernhilfen zu konzentrieren, die (a) den Schüler persönlich ansprechen, (b) aktiv-produktives Lernen ermöglichen, (c) gewisse "Rätsel" (Probleme) aufgeben sowie (d) gezielte Informations- und Nachschlageaktivitäten induzieren. Mißt man die "Hilfen der Berufsberatung" an diesen Kriterien, so ist festzustellen, daß "Step Plus" immerhin die ersten drei erfüllt, während bei "Mach's richtig" doch einige gravierende Vorbehalte bleiben. Der erste Vorbehalt ergibt sich daraus, daß der persönliche Zuschnitt auf den einzelnen Schüler zugunsten "konstruierter" Situations- und Verhaltensbeispiele zurückgenommen wurde. Der zweite betrifft die berufskundliche Belehrung. Sie ist ebenso überzogen wie die ausgeprägte Orientierung am Modell des rationalen Entscheidungsverhaltens. Zwar ist bei "Mach's richtig" positiv zu vermerken, daß ein gewisser Grundstock an berufskundlichen Basisinformationen in das Arbeitsheft aufgenommen wurde. Sie sind letztlich jedoch nicht wirklich integriert, sondern als ziemlich unverbindliches Leseangebot beigegeben worden.
Trotz dieser kritischen Anmerkungen zu den beiden "Standard-Hilfen" der Berufsberatung sind sie alles in allem doch recht sinnvolle und hilfreiche Arbeitsmittel, wenn auch methodische Verbesserungen gewiß möglich und notwendig sind. Letzteres gilt vor allem für "Mach's richtig". Wenn diese Berufswahlhilfe die Schüler wirklich zum motivierten Durcharbeiten veranlassen soll, dann müssen die ziemlich trockenen und belehrenden Berufswahl-Informationen anders aufbereitet werden. Mit einigen Fotos, Zeichnungen, Fragebögen oder sonstigen graphischen Verzierungen allein ist es nun einmal nicht getan, sofern diese die Schüler nicht wirklich inspirieren, verunsichern und fragend zurücklassen. Letzteres aber ist in "Mach's richtig" nur sehr selten der Fall. Den Schülern werden - in der erwähnt belehrenden Form - über weite Strecken Fragen beantwortet, die sie weder gestellt haben noch in der Regel als besonders bedrückend empfinden dürften. Zu sehr wird offenbar der allumfassend interessierte Berufswähler vorausgesetzt, den es faktisch jedoch kaum gibt. Daraus erklärt sich wohl auch der relativ große Umfang von "Mach's richtig" (110 Seiten in der 86er Ausgabe). Hier ließe sich gewiß einiges kürzer, problemorientierter und anregender fassen, als dies im vorliegenden Heft der Fall ist.
Die übrigen Informationsmedien (Beruf Aktuell, Blätter zur Berufskunde, IZ etc.) sollten als das betrachtet werden, was sie im Grunde genommen sind: nämlich offene Angebote für diejenigen Schüler, die sich intensiver informieren und orientieren wollen. Der allgemeine Appell, diese Informationsangebote zu nutzen und durchzuarbeiten, bringt allerdings solange nichts, solange die Schüler keine konkrete "intrinsische" Veranlassung haben, darin auch zu blättern, die Gliederung durchzusehen, bestimmte Informationen zu suchen etc. Ihr prinzipielles Informationsinteresse reicht nämlich im allgemeinen nicht sehr weit; wohl aber sind sie "intrinsisch" entsprechend zu motivieren, wenn mit diesen Informationsangeboten im Unterricht konkret gearbeitet wird. Ein Kreuzworträtsel oder ein Rollenspiel, zu dessen Bearbeitung/Lösung Beruf Aktuell durchforstet werden muß; ein Planspiel, in dessen Rahmen sowohl mit Beruf Aktuell wie mit ausgewählten Blättern zur Berufskunde gearbeitet wird - das sind Beispiele dafür, wie komplexere (theoretischere) Informationsmedien gezielt und wirksam einbezogen und genutzt werden können. Ähnliches gilt für Filme: Berufskundliche Filme vorzuführen, nur um allgemein zu informieren, bleibt in der Regel recht wirkungslos. Die Schüler fallen zumeist sehr schnell in die Seh- und Vergessengewohnheiten zurück, wie sie für den üblichen Fernsehalltag gelten. Nur wenn ein gerichtetes Interesse da ist, d. h. bestimmte Fragen an einen Film vorliegen, oder wenn mit einem Film in aktivproduktiver Weise umgegangen wird (Dialoge schreiben, Filmszenen im Rollenspiel reproduzieren etc.), dann steigt auch die Chance, daß das angebotene Informationsmedium sinnvoll und wirksam genutzt wird. (vgl. Abschnitt 3.4).

So gesehen ergeben sich für die "sinnvolle Reduktion der bestehenden Informationsflut" vier zentrale Ansatzpunkte:
• Die zu behandelnden Themen müssen so reduziert und akzentuiert werden, daß sie den Blick der Schüler auf die praktisch relevanten Ausschnitte des Berufswahlhandelns richten (vgl. Abschn. 2.5). Nicht umfassende Aufklärung heißt das Gebot, sondern praktische Handlungskompetenz. Letztere aber verlangt vorrangig "Handeln - Oben -und Erfahrungen sammeln", bedarf also weniger der "theoretischen" Information und Aufklärung der Schüler!
• Vorrang gebührt jenen Informationsmedien, die primär Arbeits-Mittel (Arbeitshefte) sind und den angeführten Kriterien "Schülerbezug", "Praxisbezug" und "Rätselhaftigkeit" (Problembezug) möglichst weitgehend genügen. Die darin integrierten Sachinformationen sind lebendig, kontrovers und gelegentlich auch provokativ zu gestalten, damit die Schüler kognitive Dissonanzen erleben, irritiert werden, Fragen entwickeln, Antworten suchen etc.
• Jene Informationsmedien, die dem unverbindlichen Zusatzangebot zuzurechnen sind (Blätter zur Berufskunde, IZ etc.) müssen fallweise und exemplarisch zum Arbeitsgegenstand gemacht werden: im Rahmen von "Step Plus" und "Mach's richtig" ebenso wie im Vollzug von Kreuzworträtseln, Planspielen oder Rollenspielen. (vgl. die entsprechenden Unterrichtsbausteine in Kapitel 4).
• Das gleiche Prinzip gilt für Filme, Dias, Schaubilder und sonstige aktuelle Medien der Lehrer und Berufsberater. Sie sollten grundsätzlich nur spärlich eingesetzt werden -und wenn, dann so, daß die Schüler gezielt und exemplarisch damit arbeiten (vgl. Absch. 3.4). Das "Sich-Informieren" als Zweck an sich ist für die Mehrzahl der Schüler nämlich weder motivierend noch besonders lernwirksam.

Fazit: Es gibt keine unwichtigen oder überflüssigen Informationsmedien; aber nicht alles, was als offenes Angebot vertretbar ist, muß den Schülern auch tatsächlich zugemutet werden. Die relativ geringe Informationsverarbeitungskapazität der Schüler (vgl. Abschn. 2.2) macht es vielmehr notwendig, die "Hilfen" der Berufsberatung und der Lehrer auf das zu reduzieren, was sie eigentlich sein sollten: nämlich "Arbeitsmittel". Kennzeichnend für diese Arbeitsmittel ist - wie erwähnt -, daß sie sehr dosiert und exemplarisch eingesetzt und in möglichst aktiv-produktive Lernprozesse eingebunden werden. Wenn dieser Grundsatz ernsthaft beherzigt würde, bekäme die bestehende "Informationsflut" sehr schnell den Charakter eines "Rinnsals", dessen Informationsabgabe von den Schülern wesentlich selbst gesteuert
würde. Daß die Lehrer in dieser Hinsicht keineswegs chancenlos sind, zeigen die nachfolgenden methodischen Anregungen, Unterrichtserfahrungen und Unterrichtsbeispiele.

3.2 Voreinstellungen klären und reflektieren
Wie jedermann weiß, gehen die Schüler nicht ohne gewisse Voreinstellungen (Erwartungen, Ängste, Befürchtungen) an den Berufswahlprozeß heran. Vor allem die unentschiedenen Berufswähler - und das sind die meisten - weisen nach neueren Untersuchungen eine "stärker ausgeprägte Ängstlichkeit", "mangelndes Selbstvertrauen" und ein insgesamt "unklares Selbstbild" auf (vgl. Bußhoff, 1984a, S. 294). Indem diese psychischen Dispositionen und Einstellungen in den Berufswahl-Unterricht hineingenommen werden, ergeben sich beträchtliche Chancen zur individuellen Ansprache und Motivation der Schüler. Sind die Erwartungen einzelner Schüler z. B. unrealistisch, so ist es gewiß wichtig, ihnen die "abgeklärten" Erwartungen anderer Schüler gegenüberzustellen; sind Ängste und Befürchtungen vorhanden, so kann es unter Umständen sehr hilfreich sein, andere Schüler zu hören und zu erleben, die ähnliche Vorstellungen haben oder aber durch ihr Selbstvertrauen und ihre Gelassenheit zum Nachdenken anregen. In beiden Fällen ist es nicht der Lehrer, der die Schüler in eine bestimmte Richtung drängt, um seine Lernziele zu erfüllen, sondern die Schüler selbst sind es, die ihre individuellen Sichtweisen und Einstellungen klären, überdenken und gemeinsam besprechen.