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PÄDAGOGIK - P.S. Reinhard Kahl’s Kolumne

Stirb und Werde

Eine Schule ist drauf und dran pleite zu gehen. Was dann passiert, wird eine aufregende Geschichte. Aber pleite gehen, ist das denn überhaupt möglich, außer es handelt sich um eine Privatschule? Unselbständige Anstalten öffentlichen Rechts können vom Staat geschlossen, zusammengelegt oder zur Reform verdonnert werden, aber sie können keinen ordinären Tod sterben.

Kompetenzzentren

In Dänemark ist das seit zehn Jahren anders. Berufsschulen haben per Gesetz den Unternehmensstatus erhalten (P.S. 10/1999). Ihren Auftrag "Kompetenzzentren für die Region" zu werden, so entschied das Parlament, könnten sie nur erfüllen, wenn sie ihre Wahrnehmungs- und Handlungsfähigkeit steigern. Unternehmen ist die Organisationsform mit der größten Autonomie. Es braucht hellwache Sensoren, muss beweglich sein, Lust am Handeln haben, sowie Wille und Vorstellung entwickeln. Zwar kommt das Geld für die Berufsschulen überwiegend vom Staat, aber nun gewissermaßen an die Füße von Schülern und Auszubildenden geheftet. Darüber hinaus erzielen die Berufsschulen inzwischen erhebliche Einnahmen mit Computerkursen, Weiterbildung, Beratung und anderen Dienstleistungen für Bevölkerung und Betriebe.

Das Wort Unternehmen stört die pädagogischen Kreise hierzulande, ja es wird geradezu als vom Bösen kontaminiert angesehen. Aber manches Ressentiment platzt auf. So verlangt Michael Daxner, der langjährige Oldenburger Unipräsident (P.S. 3/2000), Universitäten sollten Unternehmen werden. Er denkt nicht an Privatunis. Für den linken Daxner brächte eine unternehmerisch agierende Stiftungsuniversität das höchste Maß an Autonomie und Geistesgegenwart. Und wenn ein paar müde Einrichtungen dann sterben, würde er nicht weinen.

Aber mit dem Sterben ist es so eine Sache. Seit in Dänemark das neue Gesetz gilt, geraten Schulen in den lebensgefährlichen Strudel roter Zahlen. Zum Beispiel die Teknisk-Skole in Kolding. Sie schien den Beweis zu liefern, dass Schulen nicht ohne erhebliche Nachteile zu Unternehmen umgebaut werden können. Der Mitte der 90er Jahre einsetzende, demographisch bedingte Schülerrückgang brachte die Schule an den Rand des Abgrunds. Sie hatte schon vorher keinen guten Ruf. Als die Anmeldungen einbrachen, traf die unbarmherzige Reaktion des Marktes eine verletzbar gewordene Schulökonomie. Rote Zahlen, das hatte es noch nie gegeben. Mehrere Millionen Kronen fehlten und die Schule selbst musste dafür gerade stehen. Für den Schulvorstand war das die Stunde seiner Souveränität. Jetzt galt es, Selbständigkeit zu beweisen.

 

Schule neu gründen

Die Schule neu gründen, hieß seine Maxime. Aber schrittweise: Erst Kredite aufnehmen, dann ein Schulmanagement suchen, das betriebswirtschaftlichen Sachverstand mit pädagogischen Ideen verbindet. Ein halbes Jahrzehnt später sind die Finanzen saniert und die neue Schulleitung hat Bankkredite von mehr als 10 Millionen Euro für einen Neubau zusammen. Die Architektur soll der in den vergangenen Jahren entwickelten neuen Choreografie des Lernens ihre Form geben. Es wird keine Klassenräume mehr geben, sondern "Auditorien", für den eher traditionellen Unterricht. Daneben das OLC, "Open Learning Center", mit Computern, Sitzecken und Arbeitsateliers. Schon das im alten Gebäude eingerichtete OLC zeigt eine Lernwerkstatt, wie man sie sonst nirgendwo zu sehen bekommt.* Ein dritter Typ von Räumen werden die zum "Training" in den fachlich-praktischen Teilen der Berufsausbildung sein. Und schließlich eine riesige, über ein Stockwerk gehende Fläche, der ganze Stolz von Schulleiter Birger Horning. Damit will er dem "Abschied vom Industrialismus in der Pädagogik" den letzten Schliff geben. "Wir wollen hier eine Atmosphäre wie auf einem traditionellen Marktplatz schaffen", erklärt er. Auf diesem Forum sollen sich die Schüler treffen. Es soll 24 Stunden am Tag geöffnet sein. Da wird es ein Bistro geben, Ecken mit Fernsehern und Videogeräten, Mediathek und Internet-Café, Billardtische und eine Bühne. In Australien und in Neuseeland hatte Birger Horning die überzeugendsten Vorbilder gefunden. Fotos seiner Recherchen über "Architektur und Pädagogik" hat er auf CD gebrannt und seine Kollegen damit überzeugt.

Würde es dieses Projekt geben, wenn die Schule nicht die Chance auf ihre Krise gehabt hätte? 50 Kilometer südlich von Kolding, in Aabenraa, kam die Købmandsskole vergangenes Jahr in die roten Zahlen. Klassen mussten zusammengelegt und Lehrer sogar entlassen werden. Doch die meisten Lehrer sprechen wie Per Bengtsson: "Wir müssen Ideen entwickeln. Wir wollen doch überleben." Und Schulleiter Torben Jessen meint nach Monaten der Neuorganisation: "Im Prinzip ist es gut, dass wir erlebt haben, dass nicht alles immer so weiter geht. Wir müssen uns fragen, machen wir das Richtige und machen wir das Richtige auch richtig?"

 

P.S.

Not übt in Wendigkeit. Institutionen sollten in unserer Tradition ja dem Himmel etwas näher kommen, als es normal sterblichen Individuen zusteht. Aus ihrer Unsterblichkeit bezogen Institutionen Autorität und die Aura des Erhabenen. Aber nun zeigt sich der niedrige IQ außengesteuerter Organisationen. Ihre Verleugnung knapper Ressourcen erkaufen sie mit Verlusten an Form und Beweglichkeit. Die Innenseite jeder Form ist ja der Mangel. Ihre Außenhaut kann Eleganz sein. So geht es den Institutionen wie Menschen. Erst wenn sie ihre Sterblichkeit erfahren haben, können sie wirklich lebendig und selbständig werden.

 

P.P.S.

Kritik, Zustimmung oder Brainstorming: kahl-lob.des.fehlers(at)gmx.de

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* Ich habe eine Filmdokumentation über die Erneuerung dänischer Berufsschulen gedreht: "Die Zukunft erfinden." Sie wird von der Bertelsmann Stiftung vertrieben. Carl Bertelsmann Straße 256, 33311 Gütersloh.