Liebe Leserinnen und Leser,
Begriffe wie »Qualitätsmanagement«, »Qualitätssicherung« und »Qualitätsentwicklung« haben seit den 1990er Jahren auch in sozialen, pädagogischen und rehabilitativen Arbeitsfeldern Konjunktur. Die daraus resultierenden Anforderungen und Fragestellungen sind sehr vielschichtig, führen nicht selten zu starken Polarisierungen und münden mitunter in einem unversöhnlichen Pro und Kontra. Dabei kann die Qualitätsdiskussion durchaus zu fruchtbaren Ergebnissen führen. Eine vermehrte Sensibilität für die eigene Arbeit ist eine der möglichen konstruktiven Folgen. Bestehende Konzepte und die sie tragenden Leitideen können gewürdigt, kritisch hinterfragt und weiterentwickelt werden. Aufgrund neuer Erkenntnisse und differenzierter Begründungen lässt sich die Qualität des professionellen Handelns zweifelsfrei vielfach verbessern. Auch bei neu einzurichtenden Maßnahmen kann eine frühzeitig geführte Qualitätsdiskussion von Vorteil sein. Insbesondere in den USA sind etwa vielfältige Forschungsaktivitäten entstanden, die ein differenziertes Wissen über die Bedingungen einer wirkungsvollen Frühförderung erbrachten. Sie haben wesentlich zu der Einsicht beigetragen, dass Frühförderung notwendig ist und sich am Ende auch »rechnet«. Allerdings darf nicht übersehen werden, dass die Qualitätsdiskussion in Zeiten »leerer Kassen« an Gewicht gewonnen hat. Unter dem Eindruck finanzieller Engpässe sind die öffentlichen Hände und Kostenträger bemüht, die Sozial- und Bildungskosten möglichst nicht mehr ansteigen zu lassen. Der damit verbundene Ruf nach mehr »Effizienz« und »Effektivität«, nach Marktwirtschaftlichkeit, Wettbewerb und Konkurrenz hat zu einem verstärkten Legitimationsdruck sozialer, sonder- und rehabilitationspädogischer Arbeit geführt. Die Gefahren, die damit verbunden sind, liegen auf der Hand. Unter dem Deckmantel der Qualitätssicherung und dem Vorwurf mangelnder Effizienz lassen sich Sparmaßnahmen leichter kaschieren. Hinzu kommt ein weiterer, in seiner Bedeutung mitunter verkannter Faktor. Er besteht darin, dass sich die Arbeit vor Ort zunehmend an fremden Kriterien ausrichtet, die sachlich schwerlich zu begründen sind, aber äußeren Vorgaben entsprechen.
Die Sonderpädagogik ist deshalb gut beraten, wenn sie sich auf Qualitätskriterien beruft und auf ihnen beharrt, die der jeweiligen Spezifik der Institution, des Faches und des Arbeitsbereichs angemessen sind. Es muss ihr um die Entwicklung und Weiterführung inhaltlich gültiger Qualitätskriterien bzw. Gütemaßstäbe gehen, denen sich die jeweiligen methodischen Zugänge unterordnen. Nur dann können genuin pädagogische und rehabilitative Fragen in den Mittelpunkt der Qualitätsbestimmung treten, z. B. die Frage, was macht eine gute Schule, einen guten Unterricht oder eine gute Schüler- und Elternberatung aus. Aus Vergleichsstudien ist bekannt, dass die Schulkultur, der gegenseitige Respekt zwischen Lehrern und Schülern sowie ein angemessen herausfordernder Unterricht gute von weniger guten Schulen unterscheiden. Eine hinreichend gute Beziehung ist eine wichtige Bedingung einer guten Erziehung und Förderung. Diese alte pädagogische Weisheit ernst zu nehmen heißt, dass sich die Qualitätsüberprüfung (sonder-)pädagogischen Handelns nicht auf eine reine Ergebnisermittlung beschränken kann. Vielmehr bedürfen Unterrichts-, Förder- und Erziehungsprozesse einer besonderen Beachtung und damit auch die Art und Weise, in der Beziehungen zwischen Kindern, Lehrern und Eltern gestaltet werden.
Die bereits in Heft 1/2008 durch den Artikel von Bernd Ahrbeck zu den Problemen und Grenzen evidenzbasierter Forschung bei hyperaktiven Kindern angestoßene Diskussion um Fragen der Qualitätssicherung und Evaluation wird im Thementeil dieses Heftes durch zwei Beiträge weitergeführt. Ausgehend von begriffsgeschichtlich-philosophischen Anmerkungen zu »Qualität« setzt sich Lutz Galiläer mit dem Problem angemessener Qualitätskriterien im Bildungswesen auseinander. Er geht der Frage nach, wie »Ergebnisqualität« zustande kommt, und beschäftigt sich mit den Möglichkeiten einer Qualitätssteigerung im pädagogischen Handeln. Damit vermittelt er einen informativen Ein- und Überblick über zentrale Aspekte der Qualitätsdiskussion im (heil-)¬pädagogischen Feld. Wie schulische Qualitätssicherung und -entwicklung konkret aussehen kann, zeigt Holger Schäfer in einem praxisbezogenen Beitrag anhand einer Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. Der Autor verdeutlicht detailliert, wie sich ein schuleigener Evaluationsprozess vor dem Hintergrund des komplexen Bedingungsgeflechtes entfalten lässt, so dass am Ende ein differenziertes und gleichwohl alltagstaugliches Planungsraster steht. Alle beteiligten Instanzen werden mit einbezogen, in einer weiten Spanne vom Kultusministerium bis hin zu den Lehr- und Erziehungspersonen vor Ort. Schäfer stellt besonders die Möglichkeiten und Vorzüge einer internen Evaluation heraus, die er einer Fremdevaluation durch »externe Agenturen« gegenüberstellt.
Der allgemeine Teil besteht aus drei aktuellen Aufsätzen. Michael Jürgen Franz rückt eine Schülergruppe in den Blick, die aus fachlich-institutioneller Rohrsichtigkeit Gefahr läuft, »zwischen die Stühle« zu geraten. Er nennt sie »Grenzgänger« zwischen den Schulen mit den Förderschwerpunkten Lernen und geistige Entwicklung. Beide Schularten verfügen, wie der Autor zeigt, oftmals über kein für sie geeignetes pädagogisches Konzept, so dass Anstöße zu einer Reflexion »fester« sonderpädagogischer Fachrichtungen und der entsprechenden Schularten gegeben werden. Jürgen Münch und Dennis Naumann stellen danach eine empirische Studie über die Kooperation zwischen Eltern und Lehrern an der Schule mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung vor. Damit wird ein wichtiger Beitrag geleistet, der über die bisherigen, vornehmlich theoretisch gefassten Reflexionen hinausgeht. Hannah Schott und Stephan Ellinger berichten abschließend über schulische Möglichkeiten der Drogenprävention, mit einer kenntnisreichen Darstellung der Gefahren, die von einzelnen Drogen ausgehen.
Bernd Ahrbeck / Hans Weiß