Gemeinsames Kennzeichen der überwiegenden Zahl der KlientInnen der Sozialen Arbeit ist, dass sie nicht oder nur marginal in das Erwerbsleben integriert sind bzw. erhebliche Schwierigkeiten bei der Integration in das Erwerbsleben haben. In unserer Gesellschaft gilt es jedoch nach wie vor als normal - und als Norm -, dass man nach der allgemeinbildenden Schule eine Ausbildung absolviert und dann bis zur Erreichung des Rentenalters in einer Normalanstellung (unbefristete Vollzeitstelle mit tariflicher Bezahlung) erwerbstätig ist. Als Alternative hierzu wird auch heute noch weithin die Rolle der Hausfrau und Mutter anerkannt, die über das Erwerbseinkommen des "Haushaltsvorstandes" versorgt und sozial abgesichert ist. -- Diese Vorstellung von Normalität hat sich in der Zeit von 1950 bis 1975 herausgebildet: Bis zum Zweiten Weltkrieg war die "normale Erwerbsbiographie" keineswegs normal, sie wurde durch Wirtschaftskrisen, Kriege und hohe Arbeitslosigkeit immer wieder durchbrochen, seit Mitte der 1970er Jahre hat sich "anhaltende Massenarbeitslosigkeit zur dringendsten politischen, wirtschaftlichen und sozialen Herausforderung" entwickelt, so das gemeinsame Sozialwort der Kirchen aus dem Jahre 1997. Der Anteil der nicht in das Erwerbsleben Integrierten näherte sich Ende 2005 der 20 Prozent-Marge, die Wachstumsphase der folgenden drei Jahre war ein Strohfeuer, das auf Pump finanziert war und inzwischen ist Vollbeschäftigung in das Reich der Utopien gerückt. -- Wir haben inzwischen gelernt, dass die Probleme des Erwerbssystems mit der Kategorie "Arbeitslosigkeit" nicht angemessen gefasst werden können. Die Zahl derer, die ihr Geld nicht mehr in einem Normalarbeitsverhältnis verdienen, nimmt rapide zu: Beschäftigte mit befristeten Arbeitsverträgen, Leiharbeiter, Minijobber, Ich-AGs, Ein-Euro-Jobber sowie alle, die unfreiwillig Teilzeit arbeiten. So ging die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Zeit von 1991 bis 2005 um 13% von 30 auf gut 26 Millionen Menschen zurück. Die "prekären" Arbeitsverhältnisse haben inzwischen die 20-Prozent-Marge überschritten. -- In vollem Umfang wird die Krise des Erwerbssystems erst sichtbar, wenn man die individuellen Biographien betrachtet: Fachleute gehen davon aus, dass von denjenigen, die heute in Deutschland einen beruflichen Abschluss erlangen (in Form von Lehre, Schule oder Studium), nicht einmal mehr die Hälfte eine normale Erwerbskarriere (tariflich bezahlte Vollzeitbeschäftigung vom Abschluss der Ausbildung bis zum Erreichen der Altersgrenze) vor sich hat. "Diskontinuierliche Erwerbsverläufe" und Patchworkbiographien mit vielfältigen Brüchen und Übergängen werden zunehmend zur Normalität. -- André Gorz spricht von einer "neuen Dienstbotenklasse", die durchaus vergleichbar ist mit dem "Pauperismus" des 19. Jahrhunderts, Ulrich Beck spricht von einer "Brasilianisierung der Arbeitswelt". Giddens stellt eine zunehmende "Entbettung" fest in dem Sinne, dass die vielfältigen Bettungen der Arbeitnehmer und ihrer Familien, die durch die Sozialpolitik im Zuge der Herausbildung der Industriegesellschaft geschaffen wurden, zunehmend erodieren. -- --
Beitrag
Krise der Arbeitsgesellschaft und Soziale Arbeit an ihren Rändern
TUP - Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit (ISSN 0342-2275), Ausgabe 2, Jahr 2010, Seite 110 - 116
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Krise der Arbeitsgesellschaft und Soziale Arbeit an ihren Rändern
TUP - Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit (ISSN 0342-2275), Ausgabe 2, Jahr 2010, Seite 110 - 116
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