Wolfgang Streeck, Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, hat sich in seinen kürzlich in Buchform unter dem Titel "Gekaufte Zeit. Die vertagte Krise des demokratischen Kapitalismus" veröffentlichten sehr lesenswerten und auch sehr lesbaren Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2012 mit der Finanz- und Fiskalkrise - kurz: "Eurokrise" - auseinandergesetzt: In ihrem Gefolge sei "der Schuldenstaat, der den Sozialstaat abgelöst hat, dabei, sich in einen Konsolidierungsstaat zu verwandeln und den neoliberalen Abschied des europäischen Staatensystems und seiner politischen Ökonomie von seiner keynesianischen Gründungsphase zu vollenden." Dieser Konsolidierungsstaat habe sich als internationales Mehrebenenregime konstituiert und die Europäische Union habe sich dabei als "Liberalisierungsmaschine" betätigt.
Wenn der Autor in diesem Zusammenhang allerdings darauf hinweist, dass ein in den 1980er Jahren proklamiertes Ziel der damaligen Europäischen Gemeinschaft "der Aufbau eines supranationalen Sozialstaats im Wesentlichen nach dem seinerzeitigen westdeutschen Muster" gewesen sei, später dann aber die "Integration durch supranationale Liberalisierung" bzw. "Liberalisierung durch internationale Integration" programmiert und praktiziert worden, und Hauptakteur dieser Politik sei der Europäische Gerichtshof gewesen sei, so trifft das nicht zu: Zum einen wird nämlich die der Europäischen Gemeinschaft in den 1980er Jahren zugeschriebene Rolle über- und verzeichnet - ein "Europäischer Sozialstaat" stand nie ernsthaft zur Diskussion! - und zum anderen vermittelt auch die Reduzierung der Auswirkungen der Judikatur des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auf die wirtschaftliche Liberalisierung unter Außerachtlassung der Rolle des EuGH als "Integrationsmotor" und Akteur zugunsten der sozialen Dimension Europas ein falsches Bild (Streeck 2013: 141 u. 148 - 151, krit. Schulte 2013a, differenzierter auch Fischer-Lescano/Möller 2012).)
Schwerpunktmäßig waren es nämlich andere Akteure, die Europäische Kommission und vor allem der Rat und damit die dort handelnden Regierungen der Mitgliedstaaten, die eine Politik betrieben haben, die allerdings in der Tat auf Austerität und Konsolidierung hinausläuft, und die sowohl - wenn auch von Land zu Land in unterschiedlichem Ausmaß - die jeweilige nationale Wohlfahrts- bzw. Sozialstaatlichkeit beeinträchtigt als auch die soziale Dimension der Union selbst schwächt und auch das Europäische Sozialmodell in Frage stellt.
Diese Entwicklung lässt sich empirisch belegen anhand der sozialen Entwicklung in den südeuropäischen Mitgliedstaaten seit der Finanzkrise in den letzten Jahren und der diesen Staaten aufgenötigten Politik, die insbesondere im Sozialbereich zu Einsparungen geführt hat, die tiefgreifende Auswirkungen haben und deshalb zu einer Revitalisierung der Europäischen Sozialpolitik führen müssen, für die es auch erste Ansätze gibt.
Beitrag
Die Politik des "Konsolidierungsstaates" in Europa
TUP - Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit (ISSN 0342-2275), Ausgabe 5, Jahr 2013, Seite 380 - 388
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Die Politik des "Konsolidierungsstaates" in Europa
TUP - Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit (ISSN 0342-2275), Ausgabe 5, Jahr 2013, Seite 380 - 388
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