Pressemeldung

Dienstag, 04. Juni 2024

Teenage Blues

Familientherapeutin Melanie Hubermann erklärt, was Eltern bei depressiven Verstimmungen ihrer Kinder tun können

 

Liebe Frau Hubermann, woran erkenne ich, ob mein Kind an einer depressiven Verstimmung leidet?

Eine depressive Verstimmung zeigt sich durch mindestens zwei Symptomen über mindestens zwei Wochen, wie zum Beispiel, drückende Stimmung in einem ungewöhnlichen Ausmaß oder Interessen- und Freudverlust an Aktivitäten, die zuvor Spaß gemacht haben. Auch verminderter Antrieb oder schnelle Ermüdung können Symptome sein. Noch deutlicher erkennbar ist eine depressive Verstimmung an einem schlechten Selbstbild, also sich wertlos zu fühlen, keine Zukunftsperspektiven zu haben, auffällige Veränderungen in Schlaf und Essgewohnheiten oder auch schwerfällig Entscheidungen treffen zu können. Genauso können andauerndes Grübeln bzw. das Gefühl aus einer negativen Gedankenspirale nicht mehr herauszukommen – Jugendliche sprechen auch vom »Overthinking«, ein alarmierendes Signal sein.

Ich erlebe, dass viele Eltern, mit ihrem Bauchgefühl »Mit meinem Kind stimmt etwas nicht«, oft richtig liegen. Deshalb ermutige ich Eltern auch immer, auf ihr Bauchgefühl zu hören und ihre Kinder auf wahrgenommene Veränderungen im Verhalten und ihre Sorgen anzusprechen.

 

 

Depressive Verstimmungen und Depressionen unter Jugendlichen haben stark zugenommen. Woran liegt das?

Jugendliche befinden sich durch ihre hormonellen Veränderungen schon in einer Art natürlichem Ausnahmezustand. Deshalb gelten sie als besonders anfällige Gruppe im Falle von Krisen. Dabei kann es sich um persönliche, familiäre oder gesellschaftliche Krisen handeln.
Nun befindet sich die Welt schon fast in einer Dauerkrise. Angefangen hat es mit der Corona-Pandemie. Nur aus dieser Zeit belegen Zahlen eindeutig eine Steigerung der psychischen Störungen bei Jugendlichen.

Und bevor wir die Zeit haben, die Pandemie zu reflektieren, befinden wir uns schon in den nächsten Krisen. Ein Krieg, der nah an unseren Grenzen stattfindet. Sowie große Unsicherheiten zur Klimakrise, die Sicherung von Energie und eine Wirtschaft, die unter diesen Weltkrisen taumelt. In so einer Zeit ist es schwer, kurz innezuhalten und zu verstehen, was geschieht und was wir brauchen, um Klarheit für die Situation zu schaffen.
Eltern fühlen sich überfordert und gestresst. Denn es bewegen sie existenzielle Fragen und es fehlen die sicheren Antworten darauf. Ich erlebe die Ohnmacht und Hilflosigkeit nicht nur bei Eltern, sondern auch bei Lehrkräften, Psycholog:innen und Schulsozialarbeiter:innen.
Familien und Gesellschaft gelingt es immer seltener, einen sicheren Rahmen zu bieten, den Jugendliche für eine gesunde Entwicklung benötigen. Deshalb, glaube ich, haben die depressiven Verstimmungen bei Jugendlichen so stark zugenommen.

 

 

In Ihrem Buch sprechen Sie von »Leuchtturmeltern«. Was meinen Sie damit?

Für das Bild einer Familie von heute nutze ich gern die Metapher eines »Hafens«. Kinder und Jugendliche sind wie Boote, sie brauchen Orientierung, einen Rahmen und klare Strukturen. Und Leuchtturmeltern befinden sich in einem sicheren Fundament, dass ihnen ermöglicht Orientierung mithilfe von eigenen Werten, Regeln und liebevoller Bindung zu geben.

Das Boot bleibt emotional immer mit dem Hafen und seinem Leuchtturm verbunden.
Kinder und Jugendliche brauchen verlässliche Beziehungen, insbesondere in herausfordernde Zeiten. Und das liegt in der Verantwortung des Leuchtturms.
Eine Depression fordert immer wieder die Beziehung zwischen Teenagern und Eltern heraus. Dabei geht es um Beharrlichkeit, etwas, das Eltern benötigen, um im Kontakt mit ihren Teenagern zu bleiben. Eine sichere Bindung zu den Eltern gibt Halt. Starke Eltern zeigen ihren Kindern sicher den Weg durch ruhige wie unruhige Zeiten.

Und um die eigene Kraft und Klarheit, nicht nur in Krisenzeiten, zu erhalten, also das eigene starke Fundament zu sichern, benötigt der Leuchtturm Selbstfürsorge und ein verlässliches Helfernetzwerk von anderen Leuchttürmen aus der Gemeinschaft.