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Mittwoch, 19. Oktober 2022

Familienexpertin Nora Imlau im Gespräch über Grenzen

»Wenn ich meinem Kind zeige, wer ich bin und wo meine persönlichen Grenzen liegen, mache ich ihm ein Geschenk«


Liebe Nora, ist es wichtig, dass wir Eltern Grenzen setzen?
Ich bin gar kein so großer Fan des Grenzensetzens – das klingt so willkürlich und massiv, als würde ich jemandem einen Betonpoller für die Nase setzen und sagen: Zack, das ist meine Grenze! Wozu ich Eltern rate, ist etwas anderes: Ich finde es wichtig, dass wir wieder lernen, unsere persönlichen Grenzen zu spüren, zu kommunizieren und zu wahren. Wir dürfen unseren Kindern aufzeigen, wo sie aufhören und wo wir beginnen, wo unsere individuellen Scham- oder Belastungsgrenzen liegen, was wir wollen und was wir nicht wollen. Darum geht es auch in meinem neuen Buch.

Sind Grenzen etwas Negatives für unsere Kinder?
Grenzen können etwas Negatives sein, wenn sie hart und gewaltvoll vermittelt werden oder von Kindern Dinge verlangen, die diese gar nicht leisten können. Viele von uns sind selbst mit solchen unnachgiebigen, nicht entwicklungsgerechten Grenzen aufgewachsen und wollen unseren Kindern deshalb solche Grenzerfahrungen ersparen. Doch Grenzen können auch ganz freundlich, zugewandt und haltgebend sein. Wenn ich meinem Kind zeige, wer ich bin und wo meine persönlichen Grenzen liegen, mache ich ihm ein Geschenk: Ich zeige ihm, wer ich bin und übernehme gleichzeitig Verantwortung für mein eigenes Wohlergehen. Diese Erfahrung ist sehr wichtig für Kinder – auch, weil sie dich daran ein Vorbild nehmen können, um ihre eigenen Grenzen gut zu wahren.

Warum ist es für viele Eltern dennoch so schwer, Grenzen zu setzen?
Die meisten Eltern wünschen sich heute – zum Glück! – eine vertrauensvolle Beziehung mit ihren Kindern, und wollen ihren Nachwuchs nicht verletzen. Das ist eine ganz großartige Entwicklung, sorgt aber oft dafür, dass Eltern ihre eigenen Bedürfnisse ständig hintenanstellen und über ihre eigenen Grenzen hinweggehen, um ihre Kinder bloß nicht zu frustrieren. Doch zum Elternsein gehört es auch dazu, Zumutungen zu verteilen! Ich kann und muss nicht alles tun, was mein Kind will – und kann trotzdem respektvoll mit ihm umgehen und auch dann liebevoll mit ihm verbunden bleiben, wenn ich Nein sage und auch bei Protest dabeibleibe.

Wem legst Du Dein Buch besonders ans Herz?
Ich lege dieses Buch allen Eltern ans Herz, die lernen wollen, ihre eigenen Grenzen wieder zu spüren und sie klar und fair zu vertreten. Denn ich bin überzeugt: Ein bindungsstarkes Familienleben braucht persönliche Grenzen – und es geht uns allen miteinander besser, wenn wir gelernt haben, dass Grenzen nichts Gemeines oder Schlimmes sein müssen, sondern im Gegenteil ganz viel Verbindung, Verständnis, Halt und Wärme schenken können.