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Donnerstag, 09. Februar 2023

Sei du selbst, alle anderen gibt es schon – Psychologin und Psychotherapeutin Ulrike Juchmann zeigt, wie sich Frauen von Erwartungen befreien

»Frauen haben Angst zu scheitern und dann angegriffen zu werden. Sie haben aber auch die Angst, erfolgreich zu sein und dann angegriffen zu werden.«

Liebe Frau Juchmann, Sie coachen seit 25 Jahren als Psychologin Frauen in allen Lebenslagen. Welche Erfahrungen haben Sie dabei gemacht?
Ich habe mit jungen Frauen, die unter Essstörungen leiden, und mit erfolgreichen Führungsfrauen gearbeitet. Es verwundert und berührt mich immer wieder sehr, wie schwer es den meisten Frauen fällt, die eigenen Stärken und Kompetenzen zu fühlen und nach außen dann auch zu zeigen. Selbstzweifel sind an der Tagesordnung. Vielen Frauen ist es zur Gewohnheit geworden, sehr kritisch mit sich zu sein.

Leider ist auch das Hadern mit dem eigenen Körper ein Thema, mit dem Frauen viel Zeit und Energie verlieren. Da habe ich auch viel Schmerzliches in der Arbeit mit Frauen erlebt: selbstzerstörerisches Hungern, Selbstverletzungen oder ständig kontrolliert zu essen. Natürlich ist das auch eine Reaktion auf die Darstellung von Frauen in der Werbung und in den Medien.

Viele Frauen haben traumatisierende Erfahrungen durch sexuelle Übergriffe und Gewalt gemacht. Dennoch erlebe ich Frauen als beherzt, an sich zu arbeiten, Verletzungen hinter sich zu lassen. Mir macht es unglaublich Freude, Frauen zu unterstützen. Sie sind oft offen für Veränderung und wollen etwas Neues ausprobieren. Und sie haben so viele Ressourcen!

Wovon werden weibliche Denkmuster und Verhaltensweisen beeinflusst?
Großen Einfluss haben da zum Beispiel die Medien: Studien der Universität Rostock zeigen, wie einseitig Mädchen und Frauen immer noch im deutschen Film und Fernsehen dargestellt werden. Da werden immer noch alte Rollenklischees bedient: Frauen sind angepasst, gutaussehend und ständig auf der Suche nach einem Partner. Das bildet die Vielfalt weiblicher Lebenswelten ja gar nicht ab.

Es gibt viel Bewegung in eine positive Richtung und das ist wichtig. Frauen wurden in patriarchalen Gesellschaften über Jahrhunderte von Bildung, Politik, Wissenschaft und Kultur ausgeschlossen. Sie wurden in die versorgende, mütterliche Rolle gedrängt. Die Philosophin Kate Manne beschreibt, wie die Rolle der Frau auf das Geben eingeengt wird. Sie soll ein »human giver« sein, kein »human being«; sie soll Erwartungen erfüllen und zur Verfügung stehen. Dafür nennt Kate Manne ganz aktuelle Beispiele. Leider sind gesellschaftliche und kulturelle Bilder und Geschichten sehr langlebig. Sie wirken in unseren Köpfen fort.

Wie können sich Frauen ihrer Stärken bewusst werden?
Es fehlt den Frauen oft an geeigneten Methoden und Tools im Umgang mit sich selbst. Genau da setzt mein Buch an. Ich möchte die Methoden darstellen, die Frauen als hilfreich empfinden: Übungen aus der systemischen Therapie ermöglichen es, sich der eigenen Prägungen bewusst zu werden. Achtsamkeitsbasierte Verfahren helfen, aus der Grübelschleife auszusteigen. Körperübungen sind wichtig, damit Frauen lernen, sich mit ihrem Körper anzufreunden.

Da kriegt man gleich einen Schreck, wie das alles umzusetzen ist. Deshalb ist es so wichtig, zu verstehen, wie alles zusammenhängt. Ein wichtiger Schlüssel ist die Selbstannahme und Freundlichkeit mit sich selbst. Es ist auch eine Frage der inneren Haltung. Ich möchte vermitteln, dass es um Selbstakzeptanz geht, nicht um Selbstoptimierung.