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Dienstag, 25. Juli 2023

»Wir erwachsenen Trennungskinder« – Inke Hummel und Julia Theeg im Gespräch

»Konflikte werden möglicherweise nicht ausgetragen, weil die dann erwachsenen Trennungskinder die Strategie Rückzug beibehalten und ihre Bedürfnisse und Wünsche nicht benennen.«

Liebe Inke Hummel, liebe Julia Theeg, inwiefern kann die Trennung der eigenen Eltern auch Jahre später das eigene Leben beeinflussen?
Inke Hummel: Nach einer Trennung kann es zu verschiedenen Problemen kommen. Oft fehlen elterliche Ressourcen, um die Entwicklung der Kinder allgemein und möglicherweise auch ihre Gefühle rund um die Trennung gut begleiten zu können. Und manchmal entstehen durch die Konflikte auf der Paarebene weitere auf der Ebene der Eltern-Kind-Beziehung. Diese Belastung lässt in Kinder dann teilweise Verhaltensmuster entstehen, die nicht sinnvoll sind und ihren weiteren Lebensweg erschweren.

Julia Theeg: Wenn die Trennung der Eltern hoch strittig ist oder Kinder zu früh in die Erwachsenenrolle schlüpfen, also die Bedürfnisse der Kinder nicht ausreichend gesehen werden, kann es sein, dass die Kinder Strategien entwickeln, die zwar kurzfristig hilfreich sind, aber langfristig das Leben schwerer machen. Einige Kinder ziehen sich beispielweise zurück, weil sie das Gefühl haben, ihre Eltern nicht noch mehr belasten zu wollen. Oder sie übernehmen zu viel Verantwortung für das Elternteil, was aus Sicht der Kinder am meisten Hilfe benötigt. Im späteren Leben können diese Strategien dann in Partnerschaften oder bei den eigenen Kindern Probleme machen. Konflikte werden möglicherweise nicht ausgetragen, weil die dann erwachsenen Trennungskinder die Strategie Rückzug beibehalten und ihre Bedürfnisse und Wünsche nicht benennen. Das wiederum führt dazu, sich nicht gesehen zu fühlen. Oder sie bleiben in dem Muster, sich für alle verantwortlich zu fühlen, wahren ihre eigenen Grenzen nicht und schädigen somit langfristig häufig ihre Gesundheit.

Woran erkenne ich, ob ich selbst betroffen bin?
Julia Theeg: Wenn ich merke, dass ich in Beziehungen immer wieder in Muster verfalle, die mir eigentlich nicht guttun, macht es Sinn zu schauen, ob möglicherweise die Trennung der Eltern noch nicht verarbeitet ist. Das kann beispielsweise sein, dass ich mich nicht auf Beziehungen einlassen, weil ich Angst habe, dass diese wie bei meinen eigenen Eltern nicht hält. Oder dass ich schnell aggressiv reagiere, weil ich eigentlich meine Partnerperson nicht als Team, sondern als potentielle gefährliche Person sehe, die mich verletzen kann und vor der ich mich schützen muss.
Wenn ich mir die Trennung von meinen Eltern nochmal ins Gedächtnis rufe und dabei eine hohe Belastung spüre, kann das ein Hinweis darauf sein, sich diesem Thema nochmal zu widmen und möglicherweise zu schauen, ob noch alte Strategien da sind, die im Hier und Jetzt meine Beziehungen beeinträchtigen.

Inke Hummel: Die Frage ist vor allem, ob man selbst einen Leidensdruck spürt. Wenn nicht, muss man sich auch nichts einreden. Nicht alle Trennungskinder nehmen nachhaltig Schaden durch die Erfahrung. Aber besonders wenn verschiedene Belastungen nach der Trennung zusammengekommen sind, können anhaltende Probleme entstanden sein.

Habt ihr ein Beispiel für ein Verhaltensmuster, das auf die elterliche Trennung in der Kindheit zurückzuführen sein kann, obwohl man es auf den ersten Blick vielleicht nicht denkt?
Inke Hummel:
In meinen Beratungen sehe ich häufig das Muster, dass jemand im Umgang mit dem eigenen Kind sehr überfürsorglich und konfliktscheu agiert, und wenn man dem auf den Grund geht, liegen oft Erfahrungen aus der Trennungszeit der Eltern dahinter. Die Konfliktscheue zeigt sich auch in anderen als in Eltern-Kind-Beziehungen häufig, zum Beispiel in Partnerschaften oder Freundschaften.

Julia Theeg: Ich erlebe bei vielen Menschen, dass ihr Selbstwert beeinträchtigt ist, also das Gefühl, sich weniger wertvoll zu fühlen als andere Menschen. Dafür gibt es natürlich viele Auslöser, aber die Elterntrennung kann ein ganz entscheidender sein, wenn die Kinder das Gefühl haben, dass sie in der Zeit nicht gut gesehen wurden. Das Gefühl, wertloser zu sein als andere Menschen, kann im Verhalten dann sichtbar werden, dass ich mir wenig zutraue, wenig meine Meinung sage oder auch versuche überkompensieren mit Leistung, also meinen Wert »aufpäppele«, in dem ich mich besonders im Job oder bei der Erziehung meiner Kinder anstrenge. Das wiederum lässt aber dauerhaft das Gefühl wachsen »hier geht es nie um mich«, was wiederum einen Einfluss auf das Selbstwertgefühl haben kann. Es macht viel Sinn, aus diesem Teufelskreis auszusteigen und den Blick darauf zu richten, wo dieses Gefühl herkommt. Dies kann ein erster Schritt zu Veränderung sein: Das, was ich kenne, kann ich angehen und verändern.