Dienstag, 25. Februar 2025

Der psychologische Anti-Bullshit-Kompass

Psychotherapeut Lukas Maher räumt mit psychologischem Halbwissen auf und erklärt, warum es für unsere mentale Gesundheit wichtig ist, die richtigen Worte zu verwenden.

Lieber Lukas Maher, wieso benutzen wir heute so selbstverständlich Begriffe, die man eigentlich aus der Psychotherapie kennt?
Psychologische Themen und Mental Health sind so populär wie nie. Seit der Corona Pandemie gab es sicherlich nochmal einen starken Sprung, weil wir uns in Zeiten des Lockdowns nochmal verstärkt mit unserer Psyche auseinandergesetzt haben oder manche von uns erst da so richtig gemerkt haben, dass es sie gibt. Dazu kommen Entwicklungen auf Social Media, wo sich ja besonders gut negative, emotionalisierte Inhalte verbreiten, die dann sehr häufig mit einem psychologisch klingenden Begriff garniert werden. Narzissmus ist etwas, das wir alle kennen, ohne so recht zu wissen, was damit eigentlich gemeint ist.

 

Welche Probleme siehst du darin, dass Begriffe nicht korrekt verwendet werden?
Erstens hat das nichts mit Entstigmatisierung zu tun, sondern stigmatisiert eher. Wenn wir in dem Narzissten die Ausgeburt des Teufels sehen, ist das für Menschen, mit Narzisstischer Persönlichkeitsstörung (NPS) schon ein ziemlicher Schlag ins Gesicht und lässt Grautöne vermitteln. Wenn alles Trauma ist, dann ist ja auch nichts mehr so richtig Trauma und gerade Betroffene von komplexen Traumafolgestörungen ringen so sehr um die Anerkennung und Würdigung ihrer Leidensgeschichte. Damit erweisen wir ihnen einen Bärendienst.

Zweitens ist es ein Einfallstor für jene Menschen, die gerne an einfachen Antworten verdienen möchten. Sei es durch Ratgeber, durch Coachings oder durch andere Produkte. Da werden falsche Erwartungen geweckt, denen meist mit sinnlosen Produkten oder Dienstleistungen begegnet werden.

Und drittens ist da auch eine gesellschaftliche Ebene. Wir neigen so sehr dazu, alles Mögliche zu individualisieren und verdecken damit wichtige soziale und gesellschaftliche Fragen. Wenn alle Narzissten sein sollen, bräuchten die ja Psychotherapie. Wenn es aber eher so ist, dass Partnerschaftsgewalt (hauptsächlich aber nicht ausschließlich ausgehend von Männern) etwas ist, das gesellschaftlich so weit verbreitet ist, dass ein strukturelles Problem darstellt, dann ist die Lösung nicht Psychotherapie, sondern gesellschaftlicher Wandel. Und viel zu oft verwenden wir Begriffe um einzelne Menschen zu pathologisieren, während wir diese strukturellen Probleme, die uns alle etwas angehen weiter unter den Teppich kehren. Wir psychologisieren uns zu Tode, verkennen soziale Zusammenhänge und manchmal suchen wir Erklärungen, wo es keine gibt. Beziehungen können auch enden, ohne, dass jemand ein toxischer Narzisst war.

 

Hast du ein typisches Beispiel?
Narzissmus ist da ein gutes Beispiel, denn als Persönlichkeitseigenschaft, wohnt er uns alle inne und ist per se erst einmal weder etwas Gutes, noch etwas Schlechtes. Narzissmus beschreibt Selbstbezogenheit und kann auch mit guter Durchsetzungsfähigkeit und Ehrgeiz einhergehen.
Wir verstehen unter Narzissmus aber fast ausschließlich, gewalttätige oder missbräuchliche Männer. Und wenn ein Mensch unter der Extremform des Narzissmus, der narzisstischen Persönlichkeitsstörung leidet, bedeutet das nicht, dass dieser Mensch automatisch gewalttätig ist. Ja, es gibt eine höhere Wahrscheinlichkeit dafür, aber das ist kein Automatismus. Außerdem können sich solche Störungen auch verbessern, denn meist wohnt den Menschen mit NPS ein wirklich schlechter Selbstwert inne. Hier nur die Täterseite zu sehen, verrohrt den Diskurs. Gleichzeitig sind von der NPS gerade mal 1-5% der Menschen in Deutschland betroffen. Partnerschaftsgewalt kommt aber viel häufiger vor.