Donnerstag, 07. September 2023

Sterbebegleiterin Sabrina Görlitz über Sterben, Trauern und die Liebe, die bleibt

»Ich möchte dazu anregen, bewusster zu sterben.«

Liebe Frau Görlitz, wenn ein nahestehender Mensch im Sterben liegt, sind wir mit vielem beschäftigt und vergessen dabei oft das gemeinsame Trauern und Abschied nehmen. Warum ist es so wichtig, mit den Sterbenden zu trauern?

Trauer ist ein Begriff, den viele automatisch mit den Menschen assoziieren, die zurückbleiben. Aber auch die Sterbenden trauern, und in dem gut gemeinten Versuch, ihn oder sie abzulenken oder aufzumuntern, bleiben sie mit ihren Gefühlen oft allein. Wenn wir uns jedoch einander öffnen und bereit sind, unsere Gedanken und Gefühle miteinander zu teilen, kann sich auch ganz viel Liebe, Verbundenheit und Frieden zeigen. Und das wiederum kann sich positiv auf Abschieds- und Sterbeprozesse auswirken, das erlebe ich in meiner Arbeit als Sterbebegleiterin immer wieder.

Was unterscheidet Ihr Buch von anderen Büchern zu Sterben und Trauern?

Es gibt Bücher, in denen geht es darum, was man vermeintlich von Sterbenden lernen kann. Was sie am Ende bereuen oder welche Einsichten sie über das Leben gewonnen haben, von denen wir profitieren können und die uns helfen sollen, bewusster zu leben. Ich möchte dazu anregen, bewusster zu sterben. In meinem Buch steht der Teil des Todes bzw. des Sterbens im Mittelpunkt, der in seiner Intimität und Verletzlichkeit oft weggelassen wird: Es geht um das Abschiednehmen und um die wahrlich wunder-vollen Möglichkeiten, die sich auftun, wenn wir uns entscheiden, uns ganz bewusst darauf einlassen.
 

Wen wünschen Sie sich als Leser:innen für Ihr Buch?

Ich wünsche mir Leser:innen, die den Mut haben – und jetzt zitiere ich aus meinem Buch – »unsichtbare Grenzen zu überschreiten und sich mit ganzem Herzen ins Land der Sterbenden zu begeben.« Menschen, die für sich selbst, ihre Eltern oder ihre Kinder einen offenen Umgang mit einem Thema finden möchten, an dem früher oder später kein Weg vorbeiführen wird. Und die bereits eine Ahnung haben, dass dort, wo die Trauer ist, immer auch die Liebe wartet. In jedem Fall freue ich mich über Leser:innen, die nicht nur für ihr Leben lernen wollen, sondern auch für ihr Sterben.

Sie arbeiten als so genannte Geschichtenpflegerin und besuchen Menschen, die im Sterben liegen, um ihre Biografie aufzuschreiben. Warum erfüllt Sie dieser Beruf?

In meinem Fall ist aus einer Berufung ein Beruf geworden. Ich bin sowohl ausgebildete Journalistin als auch ausgebildete Palliativbegleiterin, und in der Biografiearbeit mit Sterbenden habe ich einen Weg gefunden, diese beiden Themen miteinander zu verknüpfen. Eine Freundin hat dann irgendwann zu mir gesagt: »Du bist eigentlich eine ›Geschichtenpflegerin‹.« Und so hat sich dieser Begriff etabliert. Ich liebe diese Tätigkeit, weil ich Menschen treffe, die buchstäblich keine Zeit mehr haben, ihr wahres Ich hinter einem »Alltags-Ego« zu verstecken, und diese Seelen-Begegnungen genieße ich sehr. Dass ich dann noch dabei helfen kann, dass ihre persönlichen Geschichten sicher für die Zukunft bewahrt werden, ist einfach eine wunderschöne Aufgabe.